Das Industriegebiet der Intelligenz

Legendäre Kaffeehäuser

Das Industriegebiet der Intelligenz

Thema: Das »Romanische Café« pflegte über zwei Jahrzehnte erfolreich die Einteilung in ein Schwimmer- und ein Nichtschwimmerbassin. Es entwickelte sich zum berühmtesten Kaffeehaus Deutschlands
Ziel der Zeitreise: etwa 85 Jahre zurück in die Weimarer Republik
Einschlägige Publikation: Hermann-J. Fohsel, »Im Wartesaal der Poesie. Zeit- und Sittenbilder aus dem Café des Westens und dem Romanischen Café«, Verlag Das Arsenal, 1980
Autor: Jörg Meyerhoff
Lieblingskaffee des Autors: Die Nummer 2 (»Leopold Bloom«) der Moka Consorten – mit viel geschäumter Milch bzw. schwarz
E-Mail-Adresse: aufdenpunkt@gmail.com
Weitere Folgen dieser Serie: »Der sagenhafte Herr Eftimiades und sein »Moka Efti« sowie »Die Größenwahnsinnigem vom Café des Westens«

Wieso ausgerechnet das »Romanische Café« so viel Berühmtheit erlangte wie kein anderes in Berlin? Eine These besagt, es lag es an einer Ohrfeige, die der Autor und Verleger Wieland Herzfelde dem Schriftsteller Kurt Hiller in der Drehtür des »Café Größenwahn« verpasste. Die wiederum zu einer Verkettung aus Hausverbot, Solidarisierung von anderen Dichtern und demonstrativem Auszug aus dem bis dato bekanntesten Künstlercafé der Kaiserzeit führte. Einer anderen These zufolge lag es am »zu geringen Verzehr« der Dichterin Else Lasker-Schüler, die daraufhin des »Größenswahns« verwiesen wurde.

Die Zeit war um 1913 herum jedenfalls reif für einen Wechsel. Die Künstler, Schriftsteller, Komponisten und Großstadt-Bohemiens, die das »Größenwahn« genannte »Café des Westens« berühmt gemacht hatten, verließen es in Scharen und suchten nach einer neuen Heimstatt in der Nähe. Weshalb ihre Wahl ausgerechnet auf das riesige, ungemütliche und vom wilhelminischen Geist durchwehte »Romanische Café« an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche fiel, bleibt wohl ihr Geheimnis. Die Speisen waren legendär dürftig, die Einrichtung hingegen pompös. Der Journalist Pem (Paul E. Marcus) mutmaßte Jahre später: »Weil es im Erdgeschoss – wer weiß wie dahin verschlagen – alle Bände des großen Brockhaus gab, willkommene Nachschlagegelegenheit für Mitarbeiter der Presse«. Ein anderer wichtiger Grund mag auch der Wechsel des beliebten Oberkellners Hahn vom »Größenwahn« ins »Romanische« gewesen sein.

Das neoromanische Gebäude mit seinen zwei markanten Ecktürmen, hohen Bogenfenstern und einer großen Terrasse war vom selben Architekten entworfen worden, wie der Anhalter Bahnhof und die Kirche gegenüber. Innerhalb weniger Wochen verwandelte sich das Erdgeschoss des pseudomittelalterlichen Baus in »das Industriegebiet der Intelligenz«, wie der Anarchist Erich Mühsam notierte. Das »Romanische« entsprach dem Zeitgeist. Es wurde Treffpunkt, Meinungsbörse und vor allem Marktplatz geistiger Güter. Denn die zahlreichen Theater, Film- und Schallplattenstudios, die 200 Buchverlage, Galerien, 70 Kabarettbühnen und über 50 Zeitungen (Stand 1927) brauchten jede Menge kulturelle Produktion. Im »Romanischen« wurden Preise verhandelt, Ankäufe vereinbart und Aufträge vergeben. Der aufstrebende Dramatiker Carl Zuckmayer fasste es händereibend so zusammen: »Berlin schmeckte nach Zukunft.«

Der Stammgast und spätere Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti erinnerte sich: »Sehr wichtig war, dass man immer wieder, während Tagen, Wochen und Monaten gesehen wurde.« Über die Jahre verlor die Bohème dabei an Bedeutung. Der Essayist Walter Benjamin stellte fest: »Die Künstler traten in den Hintergrund, um mehr und mehr ein Teil des Inventars zu werden und die Bourgoisie – vertreten durch Börsianer, Manager, Film- und Theateragenten, literarisch interessierte Kommis – begannen den Platz – und zwar als Vergnügungslokal – zu besetzen.«

Der bekannteste Dauergast war der Bohemien und Karikaturist John Höxter, dessen Post über Jahre ganz selbstverständlich ans »Romanische« geschickt und zugestellt wurde. Höxter finanzierte seinen Lebensunterhalt, indem er zwischen zwei Kaffees von Tisch zu Tisch ging und jeweils 50 Pfennige kassierte. Dafür beglückte er die Gäste mit gereimten Vierzeilern, Bonmots und Komplimenten.

Der Innenraum war nach einer ungeschriebenen Hierarchie aufgeteilt. Links der unentwegt rotierenden Drehtür befand sich ein kleinerer quadratischer Raum mit 20 Marmortischen, der »Bassin für Schwimmer« genannt wurde. Dieser Bereich war der Prominenz vorbehalten, die nach Berufen getrennt saß. Der Theaterkritiker Hans Sahl berichtet in seinen Memoiren: »Es gab einen Bildhauertisch, einen Philosophentisch, einen Börsen-Courir-Tisch, einen Tisch der Kritiker, der Dramatiker, der Essayisten, der Soziologen und der Psychoanalytiker. Mitunter geschieht es, daß man einem anderen Tisch einen Besuch abstattet, wozu es allerding einer Aufnahmebewilligung bedarf, die nur zögernd und mit Zustimmung aller Mitglieder erteilt wird.«

Auch der als »rasender Reporter« berühmt gewordene Egon Erwin Kisch unterhielt im wahrsten Sinne des Wortes einen Stammtisch. Kisch war bekannt für leidenschaftliche und geistreiche Gespräche. Er prägte den vielzitierten Satz: »Das Kaffeehaus erspart uns sozusagen eine Wohnung, die man nicht unbedingt haben muß, wenn man ein Kaffeehaus hat.« Es gilt als verbürgt, dass er im »Romanischen« mehr Zeit verbrachte als in seinen diversen Redaktionen und Wohnzimmern.

Über dem Schwimmer-Bassin befand sich eine in Gewölben gefasste Galerie, in der Schach und Dame gespielt wurde. Fast täglich konnte man hier den ehemaligen Schach-Weltmeister Emanuel Lasker bewundern. Auch Bertolt Brecht und Roda Roda duellierten sich hier oft und leidenschaftlich.

Am bekanntesten war der Malerstammtisch um Emil Orlik, Max Slevogt, Otto Dix, George Grosz, Max Liebermann und dem Galeristen Alfred Flechtheim. Er befand sich als einziger Stammtisch im großen Raum rechts vom Eingang. Dieses »Bassin für Nichtschwimmer« wurde auch »Wartesaal der Hoffnung« genannt. Hier standen 60 bis 70 Tische, an denen sich suchende Frauen, Jung-Autoren und Nachwuchs-Bohemiens versammelten. Die Terrasse war den sonstigen Gästen vorbehalten.

Der Niedergang der Kaffeehauskultur kündigte sich schon ein paar Jahre vor der Machtübernahme durch die NSDAP an. Die Zeitungen des Hugenberg-Konzerns schwelgten in Hasstiraden: »Die bolschewistischen Juden sitzen im Romanischen Café (…) und brüten dort ihre finsteren Umsturzpläne aus; und abends bevölkern sie bis tief in die Nacht hinein die Amüsierlokale des Kurfürstendamms, lassen sich von Negerkapellen zum Tanze aufspielen und schreiten lachend über die Not der Zeit hinweg.« Gleich nach der ersten Straßenschlacht gegen Kommunisten, 1927, überfiel ein SA-Trupp unter Führung des damaligen »Gauleiters« Joseph Goebbels das »Romanische Café« und prügelte auf Besucher ein.

Die Liste der Gäste, die nach der Machtergreifung Anfang 1933 ins Exil gehen mussten oder im KZ ermordet wurden, ist lang und trägt viele große Namen. Fast jeden Tag veranstaltete die SA eine Razzia im »Romanischen«. John Höxter nahm sich im Grunewald das Leben, nachdem es Juden verboten wurde, öffentliche Lokale zu betreten. »Wir sahen die Terrasse und das Kaffeehaus wegwehen, verschwinden mit seiner Geistesfracht, sich in Nichts auflösen, als sei es nie gewesen«, notierte Wolfgang Koeppen. Im Januar 1945 starb die Grande Dame der Berliner Kaffeehauskultur, Else Lasker-Schüler, unter elenden Umständen in Jerusalem. Kurz darauf fiel das »Romansiche Café« nach einem Bombenangriff auch äußerlich in Schutt und Asche.

Nach dem Krieg wurde die Ruine restlos abgetragen. Auf der großen Brachfläche an der Ostseite des Breitscheid-Platzes entstand ab 1963 das Europa-Center mitsamt einem 83 Meter-Hochhaus. Der Gebäudekomplex mit dem sich drehenden Mercedes-Stern auf dem Dach steht heute unter Denkmalschutz. An der Stelle, wo einst das berühmteste Kaffeehaus Deutschlands vibrierte, befinden sich heute Ladengeschäfte und zwei unspektakuläre Schnellrestaurants.

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