Melange der Sixties II

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Melange der Sixties II

Thema: »Lilien-Pozellan« – Dekor »Daisy« (Kaffee-, Tee- und Mokkaservice)
Inhalt: Eine Hommage an Kurt Heinz Lichtenstern, den späteren Conrad Henry Lester – den Vater und Produzenten von »Daisy«
Folge: 2. (hier finden Sie die 1. Folge in der es um die Entstehungsgeschichte von »Daisy« geht)
Autorin: Bettina Schneuer
Lesezeit für diesen Text: ca 5 min
Fotos: Moka Consorten

Wer war Mister Lester, sorry, Prof. Dr. Lester, der Vater von »Daisy«? Geboren wird er am 5.11. 1907 in Wien als Kurt Heinz in eine großbürgerliche jüdische Familie. Seinem Vater Richard Lichtenstern gehört, gemeinsam mit dem Bruder Oscar, die später größte (und k.u.k. privilegierte) Steingutfabrik in Österreich-Ungarn. Geerbt, damals allerdings überschuldet und unrentabel, wendet der Unternehmer in nur zwei Jahren das Geschick, dann modernisiert und kauft er neue Produktionsstätten dazu. Steingut im Spritzdekor wird hergestellt, das heute zu den Klassikern aus jener Ära bis zum Zweiten Weltkrieg zählt. Auch sozialpolitisch ist Richard seiner Zeit weit voraus: Er gründet im österreichischen Wilhelmsburg den ersten Arbeiter-Konsumverein, stiftet 1919 vor Ort einen Sportplatz, baut Wohnungen für seine Angestellten und das erste öffentliche Bad.

Kurt Heinz Lichtenstern, der spätere Conrad Henry Lester

Kurt Heinz Lichtenstern / Conrad Henry Lester. Bild: publiziert auf seiner Todesanzeige 1996

Sein Sohn Kurt, der all dieses sicher zu Hause durch Erzählungen mitbekommt, besucht das ehrwürdige Schottengymnasium im 1. Bezirk in Wien. Es ist nur ein kurzer Fußweg von dem prächgtigen Eckhaus in der Helferstorferstraße 6, in dem die Familie zur Miete lebt (heute ist es ein Baudenkmal). Nach der Matura studiert Kurt ein wenig Welthandel in Wien, bildet sich dann in Bunzlau, Preußisch-Schlesien, in Sachen Keramik weiter. Schon 1928 steigt der erst 21jährige in den väterlichen Betrieb in Wilhelmsburg ein, gleich als Technischer Leiter.

Parallel liest er viel, lernt in Wiens Kaffeehäusern die Intelligentzia seiner Zeit kennen und schließt Freundschaften, die ihn prägen. Und wird politisiert – der »Feuerkopf«, so Jahrzehnte später seine Selbstcharakterisierung, liebäugelt mit der Kommunistischen Partei Österreichs. Ab Mitte der 1930er Jahre weicht er, auch vor den an Zulauf gewinnenden österreichischen Nationalsozialisten und der offenen Judenfeindlichkeit, aus nach Zürich und schreibt sich dort für Sozialökonomie ein, pendelt aber weiter nach Wien. Sein Vater lebt bereits seit längerem in der Schweiz, nicht nur, weil er dort eine weitere Firma erworben hatte.

1937 stirbt Richard in Locarno, 1938 flüchtet Kurt über die Tschechoslowakei nach Frankreich, nach Paris. Dort, im Café Tournon, hält Joseph Roth täglich Hof, und Kurt ist dabei, wie dutzende Exilösterreicher. Ebenso an der Cote d’Azur, wo der expressionistische Lyriker und Biograf Emil Alfons Rheinhardt schon länger in Le Lavandou lebt und die Geflüchteten ebenfalls um sich scharrt.

Café Tournon, Paris – Joseph Roth (m), Soma Morgenstern (r)

Paris, Café Le Tournon: Hier traf sich Kurt Heinz Lichtenstern mit Joseph Roth (m., rechts Soma Morgenstern). Bild: Deutsche Nationalbibliothek

Kurt wird Mitbegründer der »Liga für das geistige Österreich«, deren Erstversammlung im Januar 1939 am Boulevard Raspail stattfindet. Und initiiert in Paris die zweisprachige Zeitschrift »Freies Österreich – La libre Autriche«, in der von Alfred Polgar bis Franz Werfel alle publizieren. Zudem hilft er, der wohl noch Zugriff auf Schweizer Konten hat, Freunden beim Lebensunterhalt und bei der Flucht. Doch im Juni 1940 ist Frankreich schnelles Opfer des NS-Westfeldzugs; der Jude und Staatsfeind Kurt Heinz Lichtenstern wird von der Gestapo gesucht. Sein Familienbetrieb ist arisiert und heißt inzwischen »Ostmark AG«.

Er flieht nun selbst: über Algerien und Brasilien nach New York, wo er 1941 endlich ankommt. Nach der Amerikanisierung seines Namens in Conrad Henry Lester fängt er in Berkeley, Kalifornien, wiederum ein Studium an – Germanistik! 1943 wird er eingebürgert. In Uniform, als Leutnant der US-Army, kommt er nach Europa zurück, macht die Lothringen-Offensive und die ins Rheinland mit, als Besatzungssoldat landet er auch in Österreich. Seine Manufakturen in der Tschechoslowakei werden entschädigungslos enteignet, die Klärung der Besitzverhältnisse des Wilhelmsburger Werks in der sowjetischen Zone zieht sich hin; ihm, dem Neu-Amerikaner, werden zehn Jahre lang nur selten Besuche gestattet.

Ein ständiges Pendeln hin und zurück über den Atlantik beginnt, was zwei Jahrzehnte dauern sollte. 1946 heiratet er in den USA Hedwig »Caty« Terber, eine Sängerin; eine Tochter und ein Sohn werden geboren. 1949 promoviert Conrad H. Lester mit einer Arbeit über Oswald von Wolkenstein. Er unterrichtet an der Universität Loyola in Los Angeles – reist aber immer wieder nach Österreich und versucht, sein Unternehmen zurück zu erhalten.

Erst 1955, nach dem österreichischen Staatsvertrag, klappt das (in diesem Jahr erscheint auch Lesters Roman »Im Reich des Achilles«). The doctor investiert, moderneres »Lilien-Porzellan« (den Namen leitet er vom nahen Stift Lilienthal ab) soll das Steingutgeschirr ablösen. »Daisy« wird erdacht – doch Lester, der niederösterreichische Firmenchef, bleibt parallel amerikanischer Professor, ein Wanderer zwischen Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten.

Lilien-Porzellan Werbeplakat 1960

Werbeplakat für Lilien-Porzellan, 1960

Erst 1968 zieht Lester samt Familie endgültig nach Wien-Döbling. Neben seinem unternehmerischen Engagement, das ihm später diverse staatliche Ehrungen eintragen wird, übersetzt er Goethe-Gedichte ins Englische, pflegt Korrespondenzen, etwa mit Alma Mahler-Werfel oder Bruno Kreisky, seinem entfernten Verwandten und Freund*. 1978 wird er Vorsitzender der renommierten Wiener Goethe-Gesellschaft – kurz zuvor hatte er die österreichische Staatsbürgerschaft wieder angenommen. Seinen amerikanischen Namen hat er jedoch bis zum Tod beibehalten: Am 10. Jänner 1996 starb der Mann, dessen berühmtestes Baby »Daisy« heißt.

Conrad Henry Lester – Todesanzeige 1996

* Zusatzinfo: Viele der Briefe Lesters an Kreisky, von 1973-80 österreichischer Kanzler, liegen in der Deutschen Nationalbibliothek.

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